Religio
Unter den vier Prinzipien Religio, Patria, Scientia und Amicitia nimmt Religio für uns den höchsten Stellenwert ein. Religio bedeutet für uns Bekenntnis zur katholischen Kirche, an deren Sendungsauftrag wir eigenverantwortlich und engagiert mitarbeiten wollen. Unsere Ideen und Voraussetzungen orientieren wir an der christlichen Soziallehre. Die Konsequenz dieses Denkens und Erlebens ist das Handeln im täglichen Leben, die Verantwortung gegenüber Gott und den Menschen in Familie, Freundeskreis, Beruf, Wirtschaft und Umwelt. Selbstverständlich wird auch kritisches Hinterfragen und offener Diskurs gelebt.
Die aktive Ökumene als zentraler Punkt des zweiten vatikanischen Konzils bedeutet für uns brüderliche und schwesterliche Verbundenheit mit anderen Christen und Respekt vor dem, was in anderen Religionen wahr und heilig ist.
Auch aufgrund unserer katholischen Überzeugung lehnen wir Duell oder Mensurfechten ab. Allein der Akt der mutwilligen Verletzung eines Mitmenschen gab schon den Gründern vor 150 Jahren Grund genug, sich vom Zweikampf entschieden zu distanzieren, lange bevor dies dem Zeitgeist entsprach. Einige CVer wurden vor dem Ersten Weltkrieg noch aus der kaiserlichen Armee ausgeschlossen, weil sie bewusst von Schlagenden provozierte Duelle verweigerten. Der ÖCV legt Wert auf Charakterstärke und menschliche Größe. Diese Eigenschaften werden nach unserer Auffassung jedoch nicht mit der Klinge unter Beweis gestellt. Zur Klarstellung der unterschiedlichen Begriffe von Ehre bei schlagenden Verbindungen und im ÖCV sei der Artikel von Cbr. Petrus Roman Stockinger empfohlen.
Patria
Unter den vier Prinzipien Religio, Patria, Scientia und Amicitia wurde speziell Patria seit der Bildung der ersten Studentenverbindungen in der österreichischen Kaiserzeit immer wieder neu interpretiert. Viele von uns würden sich z.B. heute in dem vor Generationen üblichen und gelebten Begriff von Patria nur mehr zum Teil wiederfinden. Damals wie heute steht jedoch das Bekenntnis zu einem souveränen Österreich im Vordergrund. Für uns heute steht Patria für unser Bekenntnis zur Republik Österreich als souveränem Staat im Herzen Europas, für die Bejahung seiner demokratischen Grundordnung und die für Übernahme gesellschaftspolitischer Verantwortung.
Aus unserer Orientierung an der christlichen Soziallehre folgt für uns eine Verpflichtung zu verantwortungsbewusstem, sozialem und wertorientiertem Handeln. Anständigkeit, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Menschlichkeit und Toleranz gegenüber jedermann sind für uns in allen Bereichen des Lebens eine Selbstverständlichkeit und umreißen unseren Begriff von Freiheit. Die Ehrfurcht vor der Schöpfung bedingt für uns ein Eintreten für den Schutz menschlichen Lebens bis hin zur Erhaltung einer lebenswerten Umwelt für künftige Generationen. Aus dieser Grundhaltung folgt für uns auch, dass kein Mitglied des ÖCV Mitglied bei einer links- oder rechtsextremen Organisation sein kann oder auch nur damit sympathisiert. Wir treten mit Entschiedenheit für Freiheit, Recht und Menschenwürde und gegen jegliche ethnische, religiöse oder soziale Diskriminierung ein.
Die Mitglieder des ÖCV sind aufgefordert, im öffentlichen Leben Verantwortung zu übernehmen und aktiv an demokratischen Prozessen teilzunehmen. Denn mit dem erworbenen Wissen wächst auch das Maß an sozialer Verantwortung. Wir bekennen uns zu einer parlamentarischen Demokratie und damit zum Parteienstaat. Parteipolitisch sind wir jedoch nicht gebunden.
Die Verbindungen des ÖCV haben das erklärte Ziel, ihre Mitglieder zu weltoffenen Staatsbürgern zu erziehen und verlangen von ihnen ein Bekenntnis zu Österreich in völkerverbindender Gesinnung. Dies bedingt ganz selbstverständlich auch Toleranz gegenüber anderen Staaten, Völkern und Religionen! Aufgrund unserer historischen Erfahrungen ziehen wir in Gegenwart und Zukunft einen klaren Trennungsstrich zu deutschnationaler und großdeutschter Gesinnung. Vielmehr sehen wir in der Neutralität Österreichs eine große Chance, auch für die Zukunft eine Brücke zwischen den Nationen sowie eine Stätte der Hilfsbereitschaft und der Menschlichkeit zu sein.
Scientia
Unter den vier Prinzipien Religio, Patria, Scientia und Amicitia nimmt Scientia, das Streben nach universitärer und persönlicher Entwicklung, für uns als Akademiker einen sehr hohen Stellenwert ein. Insofern ist Scientia neben Amicitia das Prinzip, das sich am klarsten darstellt. Nichtsdestotrotz und angesichts der globalen Umwälzungen im Bildungswesen und in der gesellschaftlichen, beruflichen und persönlichen Weiterbildung können die folgenden Zeilen nur versuchen, den aktuellen Grundkonsens zu beschreiben.
Scientia bedeutet für uns für die Bereitschaft zu einem lebenslangen Streben nach Erkenntnis, Wissen und Wahrheit. Bereits in der Studienzeit wird Wert gelegt, dass ÖCVer in der Lage sind, „über den Tellerrand hinausblicken“ zu können und die Grenzen einer fachspezifischen Ausbildung durch eine ganzheitliche Bildung und einen interdisziplinären Erfahrungsaustausch zu überwinden. In ihren Bemühungen werden die Verbindungen darin durch die Bildungsakademie des ÖCV unterstützt. Als Teil horizonterweiternder Initiativen können Auslandssemester gesehen werden und gerade der Altherrenlandesbund Deutschland besteht aus Deutschen, die einige Semester ihres Studiums in Österreich absolvierten und Österreichern, die temporär oder permanent den gegengesetzten Weg beschritten haben.
Auch nach dem Studium gilt es, nicht nur die berufliche Kompetenz durch fortwährende Fortbildung zu bewahren. Vielmehr muss um die persönliche Weiterentwicklung ein Leben lang gerungen werden. Dies erfordert unter anderem Offenheit und Toleranz gegenüber der Meinung anderer. Auch das ständige Hinterfragen des eigenen Standpunktes ist im Sinne eines Strebens nach Wahrheit permanent erforderlich. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist für uns ein hohes Gut.
Schlussendlich bedeutet Scientia für uns auch eine verantwortungsvolle Anwendung des Wissens im Dienste der Mitmenschen. Das verpflichtet uns auch zu einer erhöhten Verantwortung in der Gesellschaft.
Amicitia
Unter den vier Prinzipien Religio, Patria, Scientia und Amicitia ist letzteres, die Pflege der Freundschaft und des Dialogs zwischen Jung und Alt, das klarste und schönste Vermächtnis unserer Gründer.
Amicitia steht für unseren von Freundschaft getragenen Umgang miteinander, in dem jederzeit Offenheit, Respekt, Toleranz und „Handschlagqualitäten“ spürbar sind. Durch das generationsübergreifende Miteinander werden in den Verbindungen Gespräch und Erfahrungsaustausch zwischen Jung und Alt gefördert. Die Lebensfreundschaft erwächst in diesem Umfeld aus dem Gemeinschaftserlebnis und dem Wissen um gemeinsame Werte. Bundes- und Cartellbruder zu sein bedeutet, sich mit einem Vertrauensvorschuss zu begegnen, der uns jedoch ebenso dazu verpflichtet, Kritik offen und ehrlich zu äußern. In diesem Geiste sind auch interne Auseinandersetzungen und persönliche Differenzen auszutragen. Im Rahmen der brüderlichen Verbundenheit haben alle Mitglieder untereinander auch Anspruch auf redliche Hilfsbereitschaft.
Als äußeres Zeichen dieser freundschaftlichen Gesinnung gilt in der Verbindung, im ÖCV und mit Mitgliedern befreundeter Verbände und Verbindungen das brüderliche „Du“ im Umgang miteinander. Diese Vertrauliche Anrede verbindet uns unabhängig von Alter oder Position vom Fuchsen bis zu den höchsten kirchlichen, politischen und gesellschaftlichen Ämtern. Im Rahmen des heutigen Studienbetriebes mag die vertrauliche Anrede unter Kommilitonen als Usus gelten. Zum Zeitpunkt der Gründung der ersten ÖCV-Verbindungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde jedoch ein formalerer Umgang gepflegt.